Sektion Leistungsmarsch
Ice Ultra 2017

24. - 28. Februar 2017: Wie es Karl Heinz Riegl auf 230 km durch das Eis der Arktis erging.

Ich möchte so gern ein Eisbär sein, denn Eisbären können nicht weinen!

Nach meiner, wie es scheint erfolgreichen Krebsoperation, dem Ausfall im Namibi Race 2016 und dem Wiedererstarken beim Wien Rundumadum 2016, traf ich den Entschluss, einmal eine Wüste der ganz anderen Art zu „besuchen“- die Eiswüste. Und zwar beim „Ice Ultra“ in Lappland am Polarkreis und das vom 24. - 28. Februar 2017.

Gesagt, getan, angemeldet, bestätigt und los ging es: Bei der Ausrüstungsauswahl wurde eher auf Funktionalität als auf Gewicht Bedacht genommen, denn bei Temperaturen um die -25 Grad und möglichen Stürmen von bis zu 100 km/h wäre der kleinste Fehler von sehr nachhaltiger Bedeutung. Auch bei der Nahrung wurde durch spezielle Beratung durch Power Bar deren Produktsortiment dementsprechend ausgenützt. Bei der Bekleidung wurde eine spezielle X-Bionic Thermofunktionswäsche ausgehählt, was sich später als absolut wichtiges Detail in diesem Puzzle herausstellen sollte. Mein Trainings- und Anpassungsprogramm wurde entsprechend, unterstützt durch das IMSB, abgeändert und in einem 1-wöchigen Alpintraining in den Bergen vervollständigt. Ein kurzer Fieberanfall in der Woche vor der Abreise stellte nochmals alles in Frage. Doch dank meiner professionellen Unterstützung konnte ich, wenn auch leicht geschwächt, am Abflugtag fieberfrei in den Flieger steigen.

Über Stockholm ging es nach Lulea in Schweden, wo nach einigen Tagen der Akklimatisierung die Weiterreise per Zug in die Einsamkeit, in das Land der Lappen, weiterführte. In Gällivare eingetroffen, konnte man unter den sehr spärlich vorhandenen Einwohnern, schon alleine aufgrund der Bekleidung, den einen oder anderen Teilnehmer erahnen. Ein kurzes Gespräch machte es klar, wieder Einen gefunden! Später traf ich noch einige „altbekannte“ Gesichter von vorherigen Ultraläufen.

Die 3-stündige Verlegung am nächsten Tag per Bus ins erste Camp, brachte uns alle nun vollständig weg von jeglicher Zivilisation. Auch der noch rasch abgefragte Wetterbericht für die nächsten Tage, ließ nichts Gutes erahnen. Im Camp angekommen, bemerkten wir auch schon die sehr eindringlichen Temperaturen so um die -20 Grad, jedoch noch ohne Wind. Zelt bezogen, am Schneeboden den Schlafsack mit entsprechender Komforttemperatur von -40 Grad ausgepackt, Rucksack nochmals überprüft, zur Ausrüstungskontrolle, medizinischem Check und rasch zurück um zu essen und zu schlafen. Denn das würde auf den nächsten 230 km Mangelware werden. Beim Briefing wurde der geplante Start aus Sicherheitsgründen von 12:00 auf 07:30 vorverschoben.

Tag 1 – 42 km

Auf den ersten Kilometern war das Tempo sehr hoch und ich war versucht, meine wiedererstarkten Beine entsprechend dem Führungspulk zu beschleunigen, doch meine Vorbereitung im Institut gab mir einen anderen Fahrplan vor und ich wusste, dass die folgenden 230 km in dieser Umgebung noch einiges auf uns zukommen lassen würden. Also Tempo raus, Pulsmesser im Blick und weiter laut Plan. Nach der Hälfte der 42 km Tagesetappe musste ich die mitgetragenen Schneeschuhe anschnallen, da der Anstieg über die kommenden Bergrücken in der Ferne und der immer tiefer werdende Schnee sonst nicht zu bewältigen gewesen wäre. Diese sich als richtig erweisende Entscheidung ließ mich zwar kurzfristig zurückfallen, gab mir aber die Möglichkeit, im schweren Gelände Meter für Meter wieder aufholen zu können. Aufgrund meiner Beobachtung befand ich mich nun auf Platz fünf, in diesem sehr weit auseinandergezogenen Feld. Zwei Spanier, ein Japaner und ein Südafrikaner lagen vor mir. Hinter mir entwickelte sich ein sehr komfortabler Abstand zum nächsten Teilnehmer. Am nächsten Bergrücken, der es selbst für alpingewohnte in sich hatte, kam noch zu den bereits vorhandenen -25 Grad ein Sturm von annähernd 80 km/h dazu. Die Sichtweite reduzierte sich auf stellenweise 10 Meter, was die Navigation auf der Route im Hochgebirge nicht unbedingt vereinfachte. Doch jetzt machte sich die etwas schwerere Ausrüstung bezahlt. Ich zog eine zusätzliche „Lage“ darüber und versuchte meine Augen vor dem „Einfrieren“ zu bewahren. Das Laufen mit Schneebrillen war bei diesen Verhältnissen für mich unmöglich geworden. Beim nächsten Anstieg konnte ich dann die beiden vor mir liegenden Mitstreiter ein- und überholen. Als sich dann noch plötzlich einer der spanischen Freunde, wegen schwerer Unterkühlung und wie sich später leider herausstellte, wegen leichter Erfrierungen, aus dem Nebel herausschälte, war nach einer kurzen Frage – ob er Hilfe benötige – meinem Tatendrang keine Grenzen mehr gesetzt. Unter Außerachtlassung meiner Vorgaben wollte ich nur so rasch als möglich diesen Höllenberg überwinden. Beim nun kommenden Bergabstück war ich so über die wieder steigenden Temperaturen erfreut, dass ich die Gelegenheit ergriff und „voll drauf blieb“. Das Ergebnis gab mir Recht: Platz 2 am ersten Tag und 32 Minuten Vorsprung auf den Dritten! Regeneration, Essen, Trinken, Schlafen, Trinken, Essen, alles wurde plangemäß abgearbeitet.

Tag 2 – 60 km

Auf den nun folgen Flachstellen (Seenüberquerungen) erkannte ich rasch, dass mein japanischer Freund auf den ebenen Flächen leichte Vorteile hatte, während ich auf den hügeligen Teilstücken eindeutig stärker war. Also versuchte ich die Taktik des hinhaltenden Widerstandes …. Die Zeit nach vorne immer abschätzend lief ich nun mein „Komforttempo“, solange bis er an die Grenze meiner von mir selbstauferlegten Entfernung kam, um dann kurz zu sprinten und so meinen Vorsprung vom ersten Tag in die Waagschale zu werfen. Platz 3 Tagesetappe und Platz 2 gesamt mit 27 Minuten Vorsprung!

Tag 3 – 44 km

Da ich die Lagepläne vorher eingehend studiert hatte, wusste ich, dass heute ein hoher „Geländeanteil“, allerdings mit einem 18 km langen Seestück am Plan war. Wie erwartet, zog Takao Tikada vorbei und plötzlich tauchte ein auf der Ebene sehr, sehr starker Holländer - Taco Jongman - auf und passierte mich. Die Eiseskälte am See und der dazukommende Wind wurde nur durch die aufgehende Sonne etwas gemildert, zumindest entstand so optisch ein eindrucksvolles Bild der Umgebung. Doch ruhig Blut bewahrend, den Vorsprung richtig einschätzend, behielt ich „mein“ Tempo bei um dann im hügeligen Gelände wieder zuzuschlagen und den Rückstand wettzumachen. Magenprobleme wegen der Kälte und Überbelastung konnte ich nur durch das „besondere“ Essen von Power Bar wieder halbwegs in den Griff bekommen – Platz 4 Tagesetappe, Platz 2 gesamt und noch immer 22 Minuten Vorsprung!

Tag 4 – 64 km (der längste Tag)

Vom Start weg versuchte ich gleich das Feld aufzureißen und mein hohes Anfangstempo dem Rest zu diktieren. Sogar mein spanischer Freund und Zeltnachbar - Vincente Juan - benötigte einige Zeit um mich zu passieren. Doch egal, mein „Ziel“ hieß Takao, den es zu kontrollieren galt. Nach den ersten beiden Kontrollpunkten konnte ich keinen mehr vor und hinter mir sehen. Bei einer kurzen Seenüberquerung ließ mich eine optische Täuschung annehmen, dass Takao und Taco aufzuschließen begannen. Ich forcierte mein Tempo in die Nacht hinein so stark, um alles klar machen zu können. Essen war wegen der Kälte fast nicht mehr möglich, die Getränke nahm ich auch aus Zeitgründen nur in den nötigsten Mengen auf, um in der Nacht meine mir bekannte Stärke ausspielen zu können. Nach immer wieder entstandenen Diskussionen mit den „Medics“ an den Kontrollpunkten: „feet ok, finger ok, drink enough, eat enough, use your ski googles …“ wurde es finster. Im schneidend scharfen Lichtkegel meiner Stirnlampe war ich mit mir nun komplett alleine. Einige Rentiere querten recht gelassen meinen Weg und einmal dürfte eine Schneeeule kurz von mir aufgeschreckt worden sein. Es könnte sich aber hier auch schon um eine willkommene Einbildung gehandelt haben – wird sich nie klären lassen. Nach schier endlosen, kräfteraubenden 60 km konnte ich bereits die Lichter des Camps in der Ferne erkennen, doch weit gefehlt, es ging noch um diesen verdammten See herum. Als dann noch manchmal das Eiswasser unter dem Schnee hervorkam, wurden die bereits jetzt nicht mehr spürbaren Füße nicht nur noch kälter, sondern der festgefrorene Schnee machte die Schneeschuhe zu „Betonschlapfen“, die jeden Schritt nur mehr im Zeitlupentempo und unter ständigem Abschlagen des Eises, möglich machte … 4 km später im Ziel, die absolute Dunkelheit hinter mir, machten mich gewiss, es geschafft zu haben. Doch nun waren lebenserhaltende Maßnahmen zu setzen, um nicht noch am letzten Tag auszufallen. Aber ein top Schlafsack und Wärmepatscherl funktionieren auch nur mit Körperwärme und wenn die fehlt, geht gar nichts mehr. Ich erkundete in der einzigen Camphütte einen Saunaraum und nahm den Ofen sofort in Betrieb. Ich musste nur aufpassen, dass ich meine Fußsohlen nicht verbrannte, da jegliches Gefühl daraus entwichen war. Als der nächste, Taco, dann ca. 1,5 Stunden nach mir ins Ziel kam, schleppte ich mich Richtung Zelt um in einem wohligen Tiefschlaf zu versinken. Platz 2 Tagesetappe und Platz 2 gesamt mit mehr als 2 Std. Vorsprung auf Takoa – die Suppe war gegessen!

Tag 5 – 15 km Zielsprint

Meine Motivation war völlig weg, meine körperliche Verfassung am Boden, aber mit diesem Vorsprung und mit etwas Weitblick rückten das Bier und ein opulentes Mal Schritt für Schritt in greifbare Nähe. Als dann unerwartet eine Schneepiste kam, auf der mich ein LKW anhupte, musste ich kurz stehenbleiben um diesen „Zivilisationsschock“ verarbeiten zu können. Dann ein kleiner See, ein Spielplatz, eine Frau mit einem Hund beim Spazierengehen, Häuser, Jokkmokk war erreicht. Noch einmal um die Ecke und das Zieltransparent war da. Der herzliche Empfang der Crew, der Eisberg mit Bier und Cola – und Eisbären können doch weinen und wie!

230 km in 35:49 ergab Patz 2 gesamt – das ist meine Beute aus diesem prägendem Abenteuer - und unvergessliche Eindrücke aus dieser Umgebung!

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